Belege (VII) – Eine Ansichtskarte mit Fragezeichen

Hallo

Ich stelle euch in diesem Beitrag einen sehr interessanten Beleg aus der Sammlung zur Postgeschichte der Saar-Region vor.

Im Sommer 1953 unternimmt ein belgisches Paar eine Urlaubsreise in das inzwischen souveräne Saarland. In Saarbrücken kauft es eine Ansichtskarte mit einem Foto der Ludwigskirche . Diese sendet das Paar, versehen mit ein paar Zeilen und korrekt mit 18 Francs frankiert von Saarbrücken an Freunde daheim in Liége.

Soweit ein ganz normaler Vorgang. Nachfolgend Scans von Rück- sowie Vorderseite der Ansichtskarte.

©Sammlung Montclair

Text

Chers Amis Le 28/6/53   / Un bonjour de Saarbrucken / nous avons un temps superbe / pour notre premier voyage / en Saarre / Nanie et Jules / on voyage en Sarre avec la carte / d’identité Belge sans autres documents

Übersetzung

Liebe Freunde Der 28/6/53   / Hallo aus Saarbrücken / wir haben schönes Wetter / für unsere erste Reise / ins Saarland / Nanie und Jules / wir reisen in das Saarland [allein] mit der belgischen Identitätskarte ohne andere Dokumente

Interessant ist das Erstaunen der belgischen Touristen über das formalitätslose Reisen im inzwischen souveränen Saarland. Alles, was sie brauchen ist ihre belgische Identitätskarte. Das visumsfreie Reisen in ihre Nachbarländer Frankreich und die Niederlande ist für Belgier eine Selbstverständlichkeit. Woher rührt dann das sogar schriftlich fixierte Erstaunen? Das souveräne Saarland hatte bis Kriegsende 1945 zum Deutschen Reich gehört und für Reisen in das Deutsche Reich wie auch in die gerade erst von den Alliierten Westmächten gegründete, nicht souveräne Bundesrepublik benötigten belgische Touristen über Alter 15 Jahre Reisepass und Visum (vgl. Anm. 1; diese Regelung wird am 1.  Juli 1953, also drei Tage nach Aufgabe dieser Ansichtskarte in Saarbrücken aufgehoben). Da unsere beiden belgischen Touristen erstmals das Saarland bereisen, ist ihnen die Unabhängigkeit des Saarlandes wahrscheinlich bekannt, die genauen Auswirkungen derselben jedoch nicht bewusst gewesen. Nun schreiben sie ihren Freunden in Belgien: „Schaut, Saarland ist nicht gleich Deutschland. Hier ist alles anders und selbst das Reisen funktioniert ohne grosse Formalitäten.“

Schon vor dem Hinterrund der visumsfreien Einreise hat dieser Beleg einen Platz in der Sammlung zur Postgeschichte der Saar-Region verdient.

Das wirklich spannende Detail dieses Beleges ist nicht der Text, sondern philatelistischer Natur. Es ist die – sehr aussergewöhnliche – Frankatur. Obschon die Auslandspostkarte mit 18 Franc korrekt frankiert ist (2), sind es die verwendeten Briefmarken nicht. Verklebt wurden in Mischfrankatur zwei französische Briefmarken aus der Freimarkenserie Marianne de Gandon (3); eine Marke zu 8 Franc (Yt FR 810) und eine zu 10 Franc (Yt FR 811). Die Marianne, dargestellt als Frauenkopf mit phrygischer Mütze ist die französische Nationalfigur ähnlich der Schweizer Helvetia oder der bayerischen Bavaria. Gleichzeitig ist die Marianne eine Allegorie für die Révolution française.

Mir stellen sich gleich zwei komplexe Fragen:

    • Weshalb frankiert ein belgisches Touristenpärchen im Saarland eine saarländische Ansichtskarte mit französischen Briefmarken? Diese wurden meines Wissens nach nicht in saarländischen Postämtern verkauft. Wie gelangten diese Briefmarken also in deren Besitz?
    • Wieso wird eine ungültige – wenn auch portogerechte – Frankatur vom Postamt Saarbrücken am Abend (nach 20:00 Uhr) des 28. Juni 1953 anstandslos mit einem Maschinenwerbestempel entwertet und befördert (ich habe diesen Beleg in Belgien erstanden).

Über diese Fragen lässt sich herrlich spekulieren. Völlig befriedigende Antworten werden sich wohl nicht finden.

Bis dann

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Anmerkungen

(1) Für die Bundesrepublik galt von ihrer Gründung bis zum 1. Juli 1953 die während des Nationalsozialismus‘ eingeführte Verordnung über den Pass- und Sichtvermerkszwang sowie über den Ausweiszwang vom 10. September 1939 (RGBl. I S. 1739); verschärft durch Verordnung vom 20. Juli 1940 (RGBl. I S. 1008)

(2) Portoperiode 1. Mai 1951 bis 5. Juli 1959

(3) Die vom Graphiker Pierre Gandon (1899-1990) entworfene und vom Graveur Henri Cortot (1892-1950) gestochene Marianne wurde im Zeitraum 1945-1955 als Bildmotiv französischer Briefmarken verwendet. Henri Cortot ist uns Saarlandsammlern als Graveur der Bildmotive der Werte zu 5, 8, 20 und 30 Pfennig (SP3, SP4, SP8, SP10) der Briefmarkenausgabe Wappen und Dichter bekannt

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