Marktgeschehen (I) – Aktuell bei ebay

Joseph Joubert hat gesagt: „Täuschungen kommen vom Himmel, Irrtümer von uns selbst.“

Ich sage: „Irren ist menschlich.“

Hallo

Heute bin ich sehr aktuell. Ich schreibe über ein zurzeit noch laufendes Angebot bei ebay, welches exemplarisch aufzeigt, wie schnell eine ungenaue Beschreibung auf der einen Seite zu einem Irrtum auf der anderen Seite führen kann. Die ungenaue Beschreibung ist das Verschulden der Michel-Redaktion. Der – wie wir sehen werden durchaus nachvollziehbare – Irrtum unterlief dem Verkäufer des Artikels bei ebay.

Konkret. Auf ebay wird ein Exemplar des 50 Pfennig-Werts der 1. Offenburger Ausgabe (BuS I) mit rechts anhängendem Seitenrand und rückseitigem – wenig dekorativem – Besitzerstempel als MiNr. 220 II für Euro 5,00 zum Sofortkauf angeboten (vgl. nachstehende Abbildung). Der Besitzerstempel kann von unbedarften Sammlern als Prüfer-Signatur verstanden werden, doch dies ist dem Verkäufer sicherlich nicht anzulasten. Es ist im Gegenteil lobenswert, Vorder- wie Rückseite der Marke als klar erkennbaren, detaillierten Scan zu präsentieren. Auch die Bewertung des Michel-Katalogs für dieses nicht alltägliche Exemplar erwähnt der Verkäufer in seiner Beschreibung: Euro 25,00. Ich persönlich halte es für grenzwertig, eine Briefmarke, deren Gummierung durch Stempel beschädigt oder verunstaltet wurden, als postfrisch zu bezeichnen. Dabei ist vollkommen egal, ob der Stempel vom Vorbesitzer, irgendwelchen Experten oder sonst jemandem mit überbordendem Selbstwertgefühl stammen. In diesem Zusammenhang kommt mir immer das während der Befreiung Europas von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg überall zu findende Grafitto „Kilroy was here“ in den Sinn. Mit rückseitigen Stempeln kommen frisch verausgabte Briefmarken sicherlich nicht an die Postschalter.

Im ebay-Inserat gezeigte Abbildung, vorbildlich mit Bild- und Rückseite

Item: Schlagen wir im MICHEL® Saar-Spezial 2017 auf Seite 89 nach, lesen wir unter MiNr. 220 II:

S von Saar in der Mitte gebrochen (Feld 20)

Eine Abbildung zu dieser Beschreibung ist nicht vorhanden. Das hinterlässt bei mir einen schalen Nachgeschmack. Immerhin liegt ein auf Saarbriefmarken spezialisierter Katalog vor mir. Und mit knapp Euro 50,00 ist das schmale Heftlein ja nicht gerade preiswert. Leider handelt es sich bei diesem Spezialkatalog um ein Konvolut von nicht aufgearbeiteten und bis auf wenige Details seit mehr als zehn Jahren nicht aktualisieren – und eben auch fehlerbehafteten – Versatzstücken aus verschiedenen anderen Katalogen des Schwaneberger-Verlags. Ausnahme bilden die wenigen, gut gelungenen Beiträge der ArGe SAAR.

Die prosaische Beschreibung aus dem Katalog hilft uns bei der Bestimmung eines Feldmerkmals nicht weiter. Was sollen wir uns unter einem „gebrochenen Buchstaben“ vorstellen? Wo liegt die Mitte eines Buchstabens? Fragen über Fragen! Versuchen wir es also zuerst mit der weiteren, sachlichen Information, die uns der Katalog anbietet: Feld 20.

Auch diese Information ist nicht selbsterklärend. Ich werde mit wenigen Worten erläutern, wie 1946/47 die Briefmarken der 1. Offenburger Ausgabe an die Postschalter gelangten. Sämtliche Werte mit Ausnahme von 84 Pfennig und 1 Reichsmark wurden als Druckbogen zu 200 Marken gedruckt. Im Verlauf der Weiterverarbeitung hat man diese Druckbogen in einen (linken) A-Bogen und einen (rechten) B-Bogen zu jeweils 100 Marken zerschnitten. Die nachfolgende Abbildung zeigt einen A-Bogen des 50 Pfennig-Wertes.

Schalterbogen 01723 A des 50 Pfennig-Werts (SP28)

Jeder dieser Bogen, auch als Schalterbogen bezeichnet, umfasst – ich schreibe im Präsens, da nach 70 Jahren noch erstaunlich viele unversehrte Bögen in Sammlerhand sind – jeweils 100 Marken, arrangiert in 10 senkrechte Reihen und 10 waagerechte Zeilen. Jedes Bogenfeld und damit auch jede Briefmarke erhält durch die philatelistische Zählung eine Koordinate. Dazu wird bei aufrecht sehendem Markenbild die Zählung bei der obersten linken Marke mit Feldnummer „1“ begonnen, dann zählt man von links nach rechts bis man bei der obersten rechten Marke „10“ erreicht. Bei der nächsten Reihe geht es mit „11“ bis „20“ weiter. Die Marke links unten erhält am Schluss die Nummer „100“. Zur Unterscheidung, ob eine Briefmarke aus einem A- resp. B-Bogen stammt, fügt der Philatelist den entsprechenden Buchstaben hinzu. Beispiel: die erste Marke der untersten Reihe des abgebildeten Bogens hat die Feldnummer 91 A.

Jetzt kommt ein wichtiger Punkt hinzu. Bedingt durch die nicht unbedingt perfekt zu nennenden Produktionsbedingungen und die Druckart Rastertiefdruck (frz. und engl. Heliogravure), sind die Markenbilder nicht exakt gleich. Kleinere und grössere Abweichungen, Feldmerkmale genannt, lassen sich bei allen Werten und allen Feldern finden. Dieser glückliche Umstand ermöglicht uns heute, Einzelmarken einem bestimmten Bogenfeld zuzuordnen.  Sehr häufig lässt sich sogar bestimmen, ob es sich um eine Marke aus einem A- oder B-Bogen handelt. Der Philatelist spricht hier von Feldbestimmung (engl. plating).

Zurück zur Beschreibung im Michel-Katalog. Feld 20 ohne nachfolgenden Buchstaben bedeutet hier, das beschriebene Feldmerkmal kommt bei den Marken des Feldes 20 auf beiden Bögen vor. Aus Bequemlichkeit wird leider das AB weggelassen. Die Zehnerfelder – haben wir zuvor gelernt – also 10, 20, 30 etc. bis 100, liegen im Bogen immer aussen rechts. Einzelmarken mit anhängendem rechten Bogenrand sind Marken von ganz rechts aussen (nicht politisch und auch nicht fussballerisch zu verstehen). Unsere Marke aus dem ebay-Angebot könnte also tatsächlich eine Marke vom Feld 20 sein.

Nun schauen wir uns das Feldmerkmal der Marke genauer an (ich habe hierfür eine entsprechende Marke aus meiner Sammlung Montclair herausgesucht).

Der obere Bogen des „S“ des Schriftbandes „SAAR“ ist – sogar etwa in der Mitte – klar unterbrochen. Hat der Verkäufer bei ebay also recht? Die Marke ist, der anhängende rechte Bogenrand ist ein klares Indiz, die äusserste rechte Marke einer Bogenreihe und das Feldmerkmal entspricht der Beschreibung im Katalog: „S“ von „Saar“ in der Mitte gebrochen. Wir wissen zwar immer noch nicht, was ein gebrochener Buchstabe ist und wundern uns über die abstruse Beschreibung im Katalog, aber wir nehmen an – und diese Annahme ist ausschlaggebend -, es kann sich nur um den Unterbruch im Bogen des „S“ handeln, den wir auf der Abbildung sehen. Weshalb ausschlaggebend? Wir haben genau in diesem Augenblick keine Möglichkeit, die uns präsentierte Marke zu vergleichen.

Nochmals. Hat der Verkäufer recht, die angebotene Briefmarke als MiNr. 220 II zu beschreiben? Nein, der Verkäufer irrt – wenn auch aus völlig nachvollziehbaren Gründen. Ursache seines Irrtums ist die unpräzise Beschreibung und das Fehlen einer Abbildung im MICHEL®-Katalog.

Begeben wir uns auf Spurensuche. Woher stammt die Beschreibung im Michel? Ursprung der Beschreibungen hinsichtlich der Feldmerkmale bei der 1. Offenburger Ausgabe ist häufig eine aus dem Saarhandbuch übernommene Beschreibung. Ich schlage im Handbuch der Postwertzeichen des Saargebietes und des Saarlandes 1. Auflage 1958, häufig als SHB abgekürzt, nach. Die Marken der 1. Offenburger Ausgabe werden im Kapitel 402 behandelt. Auf den Seiten 37-39 dieses Kapitels werden die Feldmerkmale des 50 Pfennig-Wertes beschrieben. Bei Feld 20 AB steht: „Strich im S (Abb. 67)“. Das SHB kann sich bei seiner Beschreibung so kurzfassen, da eine Abbildung mit dem Feldmerkmal vorhanden ist. Bei aller Kürze und Unschärfe – mal ehrlich: wissen Sie, wo Sie einen Strich in einem Buchstaben zu suchen haben? – der gebotenen Beschreibung, ein gebrochener Buchstabe wird nicht erwähnt. Aber ein Strich. Einen Strich im S erkenne ich bei der angebotenen Marke nicht. Die Ursache der fehlerhaften Beschreibung im MICHEL®-Katalog ist somit nicht eine Beschreibung im SHB sondern muss irgendwo in den Archiven des Schwaneberger-Verlags zu suchen sein.

Des Rätsels Auflösung:

50 Pfennig, Feld 20A
50 Pfennig, Feld 20B

Die beiden vorstehenden Abbildungen zeigen erst ein Feld 20 vom A-Bogen und dann ein Feld 20 vom B-Bogen. Sehr gut zu erkennen ist auf beiden Abbildungen der feine, waagerechte Farbstrich über das S des Schriftbandes SAAR (jeweils mit rotem Pfeil gekennzeichnet). Das sekundäre Feldmerkmal ist die rechts aussen abgeschnittene 0 (Null) der Wertangabe 50 (ebenfalls mit Pfeil gekennzeichnet). Vergleichen Sie die Wertangabe 50 mit der Marke, die bei ebay angeboten wird. Die 0 (Null) ist bei letzterer unversehrt.

Die verbleibenden Pfeile zeigen die Unterscheidungsmerkmale für eine Marke eines A-Bogens (dunkler Farbfleck links neben der linken Hüfte der knienden Bäuerin) von einer Marke eines B-Bogens (dunkler Farbfleck rechts oberhalb des Gasometers der stilisierten Industrielandschaft).

Ich beschreibe das Feldmerkmal von Feld 20AB: „Feiner, waagerechter Farbstrich mittig über den Stamm des S von SAAR, die 0 der Wertangabe 50 rechts aussen am Markenrand senkrecht beschnitten“. So entsteht Klarheit, wenn keine Abbildung vorliegt oder eine Abbildung aus Platzgründen weggelassen wird. Bei Platz und Präzision zu sparen – wie bei diesem Beispiel aus dem Michel Saar-Spezial 2017 des Schwaneberger Verlags – zeugt meiner Meinung nach von Dilettantismus oder Desinteresse.

Quintessenz: Nicht alle Marken der Ausgaben Berufe und Sehenswürdigkeiten an der Saar, die dem Sammler als Plattenfehler (sic!) angeboten werden, sind tatsächlich die in den MICHEL®-Katalogen gelisteten und entsprechend bewerteten Besonderheiten. Obschon auf den ersten Blick alles stimmig erscheint. Nur, auf den ersten Blick sollte man sich in der Philatelie nicht allzu fest verlassen. Ich verwende im Zusammenhang mit diesen irreführenden Feldmerkmalen den von mir geprägten Begriff Amis Faux (frz. falsche Freunde). Amis Faux sind nicht nur für den Spezialisten sammelwürdig. Ich selbst finde die Beschäftigung mit diesen speziellen Marken hochspannend.

Was ihr Sammler bei Angeboten wie dem eingangs vorgestellten ebay-Artikel euch jedoch fragen solltet: „Ist der geforderte Preis gerechtfertigt?“ Lasst uns den Gedanken rund um den Preis für einen Moment weiterspinnen. Nehmen wir einmal an, ihr kauft das Angebot von diesem wirklich seriösen Anbieter bei ebay. Ihr bezahlt den Kaufpreis von Euro 5,00 plus Versandkosten und freut euch, die Marke eurer Sammlung hinzuzufügen. Voller Stolz präsentiert ihr diesen Neuzugang beim nächsten Vereinstreffen. Ein Sammlerkollege macht euch dann auf den zugrundeliegenden Irrtum aufmerksam, was ein philatelistischer Prüfer auf eure Anfrage bestätigt. Und jetzt? Der Verkäufer des konkreten ebay-Angebots lässt die Rückgabe der gekauften Ware zu. Was aber, wenn der Verkäufer dies ausschliesst? Das Feldmerkmal entspricht ja der Beschreibung im Katalog. Der Irrtum des Verkäufers beruht auf der unpräzisen, um nicht zu sagen abstrusen Beschreibung des betreffenden Feldmerkmals in den Michel-Katalogen (DSK, Saar-Spezial, etc.). Eine klärende oder erklärende Abbildung hinzuzufügen, hat die Katalogredaktion nicht für nötig befunden. Eine Verbesserung der Beschreibung oder das Einfügen einer Abbildung wurde seit mindestens 2001 entweder mangels Interesse oder aufgrund mangelnden Fachwissens nicht vorgenommen. Das ist nicht gerade ein Aushängeschild für einen Katalogverlag. Worauf ich hinaus will: „Wie weit haftet der Schwaneberger-Verlag für die Fehler, die er in seinen Katalogen – oft über Jahrzehnte hinweg – publiziert. Wie weit haftet er für die daraus den Sammlern entstehenden Vermögensschäden?“

Nein, ich betreibe hier kein MICHEL®-Bashing. Gravierende Mängel in einem Katalog, noch dazu in einem Spezial-Katalog, müssen beschrieben und beim Namen genannt werden. Und leider ist das Beispiel dieses Beitrags kein Einzelfall.

Dem Saarsammler, insbesondere dem Sammler sogenannter Plattenfehler – auf das Begriffspaar Plattenfehler/Feldmerkmal werde ich in einem späteren Beitrag eingehen – lege ich den 2017 erschienenen Saar-Saarland Spezial Briefmarkenkatalog 1920-1959 und Ganzsachen aus dem Hause Philotax ans Herz. Nur wenig teurer als ein einzelner Band des MICHEL®-DSK findet der Sammler nebst den ebenfalls nicht immer nachvollziehbaren Beschreibungen in fast allen Fällen eine aussagekräftige Abbildung mit dem markierten Feldmerkmal. So erhält der Sammler die Möglichkeit, eine angebotene Marke zu vergleichen.

Seid ihr euch bei einer Marke der 1. Offenburger Ausgabe nicht sicher, ob es sich tatsächlich um einen der im Michel-Katalog gelisteten Plattenfehler (sic!) handelt? In der Regel beantworte ich eure Anfragen innerhalb von 24 Stunden.

KONTAKTFORMULAR

Zum Abschluss des Beitrages noch eine Aussage zum Motiv der Marke. Dargestellt werden zwei Bäuerinnen, evtl. Mägde, bei der Rübenernte vor einer stilisierten Industrielandschaft mit Gasometer, Fabrikgebäuden und rauchenden Schloten. Schwerindustrie und Landwirtschaft, seit langem die Haupterwerbszweige der Saarländer. 1947, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, bei der Ausgabe des 50 Pfennig-Wert der Berufe und Sehenswürdigkeiten an der Saar, besass diese Aussage immer noch Gültigkeit.

Bis bald

#saarphila #saarphilatelie

Basiswissen Philatelie (II) – Weshalb Saarbriefmarken sammeln?

Alexander Graham Bell soll gesagt haben: „Gehe nicht den vorgezeichneten Weg. Er führt dich nur dort entlang, wo andere bereits gegangen sind.“

Ich sage: „Schau‘ Dich aufmerksam um und Du wirst Deinen eigenen Weg erkennen. Folge ihm konsequent, dann werden Kurzweil und Erkenntnis Deine treuen Reisebegleiter sein. Wünsche Dich auf Deiner Reise jedoch nicht ans Ziel, denn dort angekommen, würdest Du nur das Reisen vermissen.“

Hallo

Einer der Leser des SAARPHILA-BLOGS hat mich darauf hingewiesen, dass ich in dem Beitrag  Wie ich zur Philatelie kam zwar davon berichtet hätte, wie ich zum Briefmarkensammler und später dann zum Philatelisten wurde, aber mit keinem Wort auf Saarbriefmarken und die französischen Briefmarkenausgaben für das Territoire de la Sarre eingegangen sei. Er hat völlig recht. Mea culpa.

Ich habe noch keine Erfahrung, geschweige denn Routine, Blogs zu verfassen. Offensichtlich ist eine Ankündigung schnell vergessen. Oder habe ich leichtfertig etwas angekündigt, was sich als schwierig umzusetzen entpuppte? Hat sich in mir – völlig unbewusst, selbstredend – etwas gegen die mit dem Thema einhergehende Preisgabe persönlichster Gedanken gesträubt? Man kann ja über alles schreiben. Ich empfinde es jedoch als schwierig, alle Schritte nachzuvollziehen, die zu einem Entscheid führten und darüber hinaus mir selbst wie den Lesern meine eigenen, mit Theodor Fontane gesprochen, Irrungen und Wirrungen einzugestehen.

Item. Ich habe mich selbst in die Bredouille gebracht, also muss ich da durch. Ich knüpfe also dort an, wo der Beitrag vom 12. Dezember 2017 endet. Im heutigen Beitrag werde ich einige Themen streifen, die ich zu einem späteren Zeitpunkt im SAARPHILA-BLOG oder auf der Website  Saarphila.de vertiefen werde. Sie werde diese Themen beim Lesen daran erkennen, dass ich die zugehörigen Stichworte kursiv gesetzt habe.

Vor einigen Jahren reiste ich nach Kiel (die obige Abbildung zeigt Schiffe im Fährhafen) und ertappte mich bei einer Shopping-Tour im Einkaufszentrum „Sophienhof“ dabei, wie ich gebannt vor den Regalen mit den Briefmarken, Steckbüchern, Briefmarkenkatalogen und sonstigem Zubehör stand. An diesem Tag war mit einem Schlag die Faszination für die kleinen gezackten Papiere wieder da.

Ich befand mich weit weg von daheim in der BRD, da war es wenig überraschend, dass die angebotenen Briefmarken mehrheitlich Zusammenstellungen aus deutschen Sammelgebieten waren. Der Rest bestand aus Motivsammlungen wie 50 Katzen, Blumen, Schmetterlinge, Olympia etc. eher dubioser Provenienz. Marken unbekannter arabischer Scheichtümer, Nordkoreas, kleinster Südsee-Atolle und afrikanischer Diktaturen waren friedlich in den kleinen, bunten Zellophanpaketen vereint.

Diese „Briefmarken“ haben eins gemeinsam: sie haben das Land ihrer vorgeblichen Herkunft niemals gesehen und sind dort auch an keinem Postamt erhältlich – wofür auch. Mit hohen Nominalwerten versehen zielen diese Ausgaben klar auf die Geldbeutel westlicher Motivsammler. Beworben werden diese, i.d.R. CTO-gestempelten oder mit Stempel gedruckten und damit nicht mehr frankaturgültigen Marken mit blumigen Worten und Hinweisen wie: „Nur 85% Katalogpreis“!  Man kann in den einschlägigen Katalogen aus dem Hause Michel einiges finden … und vieles nicht … aber sicherlich findet man keine Preisangaben. Der MICHEL® bietet ausschliesslich Briefmarken-Bewertungen, und die angegebenen Werte sind utopisch. Auf diesen feinen und wichtigen Unterschied zwischen Preis und Wert werde ich in einem der kommenden Beiträge noch ausführlich eingehen.

Für mich sind solche Marken nichts anderes als Vignetten resp. Cinderellas.  Cinderellas sind Papiere, die vorgeben, Briefmarken zu sein, aber keine sind, da sie keine postalische Funktion erfüllen. Hergestellt werden diese „Marken“ von gewieften Agenturen, die sich gegen geringe Zahlungen von nicht immer souveränen „Ländern“ das Recht erkauft haben, Marken zu verkaufen, die speziell auf die Bedürfnisse von Sammlern abzielen. So erklärt sich, dass beispielsweise ein muslimischer Staat das chinesische Jahr des Schweins und Marilyn Monroe – aber nicht zusammen – auf Sondermarken verewigt oder ein kommunistischer Staat dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy eine Marke widmet.

Zurück zu den Regalen im Karstadt. Ich habe mir an diesem Tag zwei Jahrgänge „Deutsche Bundespost Berlin“, eine Pinzette, eine Lupe, ein Steckbuch und einen Briefmarken-Katalog gekauft. Meine Wahl fiel auf Berlin, da es sich um ein geschlossenes Sammelgebiet handelt. Der Begriff „geschlossen“ bedeutet, es erscheinen keine weiteren Briefmarken dieses Gebiets. Meine Überlegung war dabei, dass bei einem geschlossenen Sammelgebiet die Vollständigkeit schnell zu erreichen wäre. Hier begegnet uns erstmals das Phänomen „Vollständigkeit“. Sammler streben nach ihr, auch wenn ich mir inzwischen die ketzerische Frage gestatte: „Was ist Vollständigkeit?“. Im Rückblick frage ich mich, wieso ich Vollständigkeit je als erstrebenswert angesehen habe.

Nun bietet Deutschland aufgrund seiner bis in die allerjüngste Gegenwart verworrenen, komplexen und meist kriegerischen Geschichte als Briefmarken-Sammelgebiet eine grosse Auswahl an geschlossenen Gebieten: von den Staaten, aus denen 1871 Deutschland geschmiedet wurde, über die Kolonialausgaben des Deutschen Kaiserreichs, die Besetzungsausgaben Erster Weltkrieg, die Briefmarkenausgaben der Plebiszitgebiete, die Besetzungsausgaben Zweiter Weltkrieg, die Ausgaben der Alliierten Besatzung nach der endgültigen Zerschlagung des Deutschen Reichs bis hin zu Berlin und die DDR.

Nachdem ich bei meinem Sammelgebiet Berlin tatsächlich nach kurzer Zeit Vollständigkeit in den Hauptnummern – man beachte die Einschränkung – erreicht hatte, erweiterte ich meine Sammeltätigkeit auf Heligoland und einige der geschlossenen Sammelgebiete Alliierte Besatzung. Den Schwerpunkt der Sammlung bildete bei mir die Französische Zone mit dem Saarland, liegen doch Baden wie auch Frankreich gerade ennet der Grenze am anderen Ufer des Rheins.

Kurz gesagt: Ich sammelte Kraut und Rüben. Der Grund, ein Sammelgebiet zu beginnen, war immer der gleiche: möglichst schnell Vollständigkeit zu erreichen. Wieder stolpern wir über diese Vollständigkeit, die in der Philatelie wie eine Seuche umgeht und – wie ich aus vielen Gesprächen weiss – viele Sammler befallen hat. Sind wir Sammler fremdgesteuert? Was drängt uns, eine wie auch immer geartete Vollständigkeit anzustreben? Zumindest, soweit es das Budget zulässt. Für Postanstalten ist dieses Streben nach Vollständigkeit ein grosser Reibach. Man reibt sich die Hände, begibt jedes Jahr immer mehr Marken mit sehr hoher Auflage, beklagt sich aber gleichzeitig über den Rückgang bei der Briefbeförderung.

Da frage ich mich doch: Für wen werden dann Briefmarken in Millionenauflage gedruckt? Dazu Markenheftchen, Rollenmarken, Markensets, Kleinbögen, Blockausgaben, Ersttagsbriefe, Ersttagsblätter, Numisbriefe, Maximumkarten, Jahreszusammenstellungen und und und.

Was ist der Wert all dessen? Den Wert, den bestimmt allein ihr, die Sammler. Den Preis dagegen, den ihr für eine Briefmarke bezahlen müsst,  den bestimmt der Markt. In der Regel durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage auf einem Handelsplatz. Solange die Philatelieabteilungen der Postanstalten die Nachfrage der Sammler auch Jahrzehnte nach der Erstausgabe einer Marke aus ihren Beständen in jeglicher gewünschten Qualität und Echtheit mehrfach decken können, – und das können die westeuropäischen Postanstalten in der Regel für sämtliche Ausgaben nach 1965 – dürfte die Nachfrage nach privaten Angeboten und damit die zu erzielenden Preise für Privatverkäufe niedrig bleiben.

Vor einigen Jahren begann ich, mich verstärkt auf die Markenausgaben des Saarlandes (1947-1956) zu konzentrieren und mich in die Geschichte der Französischen Besatzungszone sowie die überaus wechselvolle und spannende Geschichte des Saarlandes einzuarbeiten. Ich fand es interessant herauszufinden, weshalb bestimmte Briefmarken verausgabt worden waren, wer die Marken gestaltet hatte und wer die Marken wie und wo gedruckt hatte. Kennt ihr die Schnellpressenfabrik Albert & Cie. oHG, die Rotations-Tiefdruckmaschine Palatia O oder die Druckerei Franz Burda? Nein? Bleibt dran, bald werden euch diese Begriffe geläufig sein.

Beschäftige ich mich mit meinen Briefmarken, was öfter passiert, als es meiner Frau lieb ist, stellt sich bei mir die grösste Zufriedenheit dann ein, wenn ich mich mit den Feldmerkmalen und der Feldbestimmung (engl. plating) der 1. Offenburger Ausgabe beschäftige. Dieser „nur“ 20 Briefmarken umfassende Briefmarkensatz ist auch heute, 70 Jahre nach der Erstausgabe, in allen Erhaltungen für kleines Geld in ausreichende Menge erhältlich. Tiefer und tiefer tauchte ich in die Materie ein. Ich fand Themen, Fragestellungen und Zusammenhänge aber auch Rätsel und Ungereimtheiten, von denen ich zuvor nichts geahnt hatte, von denen kein Katalog schreibt. Ich ersann Lösungsansätze und knüpfte in ganz Europa Kontakte. Der Blick über Grenzen erweiterte meinen Horizont. Nicht nur Deutsche, sondern Luxemburger, Niederländer, Belgier und insbesondere Franzosen beschäftigen sich mit Saarbriefmarken. Yvert & Tellier aus Amiens, salopp ausgedrückt der französische MICHEL®, listet die Saarbriefmarken sinnigerweise unter „Timbres des colonies françaises; Tome 2-1“.

Die Aufbewahrung meiner mehrere Tausend Exemplare umfassenden Sammlung stellte eine neue Herausforderung dar. Zusammen mit einem Zubehörlieferanten erarbeitete ich über die letzten Monate eine für mich praktikable Lösung, die das Suchen auf ein Minimum beschränkt. Doch das wird Thema eines späteren – nicht ganz unproblematischen Beitrags über Partner beim Aufbau und Unterhalt einer Sammlung sein. Ich verspreche euch! Ich bleibe subjektiv und gehe einer Polemik nicht aus dem Weg.

Ich hatte meinen Weg in der Philatelie gefunden. Der Rest war einfach: Ballast abwerfen. Ich verkaufte alle Briefmarken und sämtliche philatelistischen Bücher, die nichts mit meinem Thema, den französischen Briefmarkenausgaben für das Territoire de la Sarre 1945-1947, zu tun hatten. Behalten habe ich nur wenige, meist sehr werthaltige Stücke, die für mich mit einer Geschichte verbunden sind, mit meiner Sammler-Geschichte.

Bis dann

#saarphila #saarphilatelie