Basiswissen Philatelie (X) – Stockflecken, die Briefmarkenseuche

Hallo

Ich hoffe, euch gruselt es ob des Titels bereits ein wenig. Eine Seuche, die Briefmarken befällt! Im Ernst: Der Begriff Stockflecken (frz. la rousseur, la tache brune; engl. foxing) jagt selbst ausgekochten Sammlern einen Schauer den Rücken herunter.

Weshalb eigentlich? Was verstehen wir unter dem Begriff Stockflecken? Und was könnt  oder solltet ihr tun, wenn eigene Marken von Stockflecken befallen sind? Wie sieht eine wirksame Vorbeugung aus?

Das sind die Fragen, auf die ich in diesem Beitrag Antworten geben werde. Dieser Beitrag ist einmal mehr etwas textlastig. Ich gehe jedoch davon aus, dass bei diesem Thema euer Interesse dennoch nicht erlahmt.

Zugabe: Wie habe ich mein Chemielabor organisiert. Ein Inhaltsverzeichnis in Stichworten.

__________

Weshalb schaudert es jeden Briefmarken-Sammler, wenn er den Begriff Stockflecken hört?

Wahrscheinlich, weil er an den Verlust – ideell wie materiell – denkt, falls seine Marken betroffen wären. Es ist zwar nicht so, dass Briefmarken mit Stockflecken komplett wertlos oder nicht mehr sammelwürdig wären. Doch braucht der Sammler einiges an Aufwand und auch etwas Glück, um den direkten Schaden an einer stockfleckigen Marke zu beheben sowie die anderen Marken vor „Ansteckung“ zu schützen.

__________

Was verstehen wir unter dem Begriff Stockflecken? Da fängt das Dilemma an. Obschon nicht ausschliesslich Briefmarken – also wichtige und teils sehr seltene Kulturgüter erster Güte – sondern ebenfalls seltene Bücher und alte Handschriften vom Befall mit Stockflecken betroffen sind, ist die exakte Natur dieses Befalls noch nicht abschliessend erforscht. Ich kann euch an dieser Stelle keine gesicherte Definition des Begriffs Stockfleck bieten (hier wird eine Begriffsbestimmung versucht). Ich zähle einfach einmal auf, was wir über Stockflecken so alles wissen:

    • wir erkennen den Befall mit Stockflecken durch anfänglich punktuelle gelbliche bis bräunliche Verfärbung(en) des Papiers oder der Gummierung; bei Nichtbehandlung breitet sich die Verfärbung schnell aus
    • es existieren zwei Spielarten: eine regelmässig runde – recht harmlose und einfach zu entfernende – Variante und eine unregelmässige, mit der Zeit tiefbraun-rötliche bis schwarze Variante, die nach meiner Erfahrung sowohl das Briefmarkenpapier wie auch eventuell vorhandene Gummierung soweit angreift, dass dünne Stellen oder sogar Löcher entstehen können
    • Feuchtigkeit, dazu zähle ich auch erhöhte Raumfeuchtigkeit, scheint den Befall mit Stockflecken zu befördern
    • mangelnde Belüftung der Briefmarken in eng zusammengepressten Albumblättern scheint den Befall mit Stockflecken zu befördern
    • Die Aufbewahrung von Briefmarken in Plastik (PVC) insbesondere unter Luftabschluss scheint den Befall mit Stockflecken ebenfalls zu befördern
    • Sporen des Schimmelpilzes als Auslöser von Stockflecken wird in diversen Artikeln erwähnt; meine Erfahrung: Schimmelbefall auf Briefmarken sieht anders aus: noch gruseliger als Stockflecken

__________

Jetzt kommt die Frage, auf deren Antwort ihr wohl sehnsüchtig gewartet habt. Wie entferne ich Stockflecken? Ich kann in diesem Beitrag keine Patentlösung aus dem Ärmel schütteln. Jedoch werde ich euch einige Ratschläge zur Aufbewahrung von Briefmarken geben sowie Tipps, wie ihr Stockflecken zumindest im Anfangsstadium entfernen könnt. Ist die Verfärbung zu stark, eine dünne Stelle oder ein Loch bereits vorhanden … tja, … das kann man halt nicht stopfen, wie eine kaputte Socke.

Item. Was solltet ihr tun, um einen Befall mit Stockflecken von vornherein zu vermeiden?

    • Schaut euch eure Sammlung möglichst häufig an, öffnet das Album und lasst Luft an eure Preziosen; das ist die einfachste Möglichkeit, Stockflecken zu vermeiden
    • Fasst eure Briefmarken nicht mit den Fingern an! Punkt. Kein aber, keine Ausnahme. Unsere Haut schwitzt immer und sondert stetig Hautfett ab, sonst sähen unsere Finger nämlich nach zwei Tagen aus wie verschrumpelte Möhren. Benutzt  I M M E R  Pinzette und leichte Baumwoll-Handschuhe, die wir sehr günstig im Baumarkt erhalten (unter Numismatikern ist die Verwendung von Handschuhen und Pinzette schon lange eine Reflexhandlung)
    • Verwahrt eure Marken in weissen Steckbüchern mit Pergaminstreifen und Pergamin-Zwischenblättern, diese sind in der Regel pH-neutral; möchtet ihr für eine Präsentation lieber einen Schwarzen Hintergrund, könnt ihr diese immer noch kurzfristig auf spezielle schwarze Plastiksteckkarten arrangieren*
    • Habt ihr Marken gewaschen (Ablösung vom Umschlag, Briefstück oder Entfernung von Falzen), achtet darauf, die gewaschenen Marken durchzutrocknen. Nach meiner Erfahrung solltet ihr die Marken im Sommer ca. 24 Stunden, im Winter eher 48 Stunden in der Kaltpresse lassen. Bevor ihr die Marken nun einsortiert, lasst diese zuvor ca. 2 Stunden an der frischen Luft

* Tipp: Achtet bei schwarzen Steckkarten unbedingt darauf, dass diese nicht aus Karton gefertigt sind. Weshalb? Die schwarze Farbe des Kartons hat die unangenehme Eigenschaft, schnell abzufärben. Schaut mal durch eure Sammlung. Ihr werdet sicherlich die eine oder andere Marke finden, die in der unteren Hälfte – dort, wo die Marke hinter dem Streifen gesteckt hat – schwärzlich verfärbt ist. Diese Verfärbung ist bei ungebrauchten Marken gar nicht – ausser Sie waschen die Marke – und bei gewaschenen Marken nur schwer wieder zu entfernen.

__________

Ihr habe in der Schule sicherlich Biologie- und Chemie-Unterricht genossen. Dann ist euch klar, wie ihr Stockfleckbefall behandeln könnt. Nicht? Schulbesuch ist zu lang her? Lehrer(in) war schlecht? Fensterplatz gehabt? Also gut: hier ein wenig Nachhilfe.

Tipp 1:

Werft die Marke bitte nicht in den Müll … die nachfolgenden Tipps helfen euch sonst nicht weiter

Tipp 2:

Vermeidet tunlichst, als potentieller Bombenbauer eingesperrt zu werden. Kauft die wenigen Zutaten im Tante Emma-Laden um die Ecke und in der Apotheke, nicht in Grossmengen im Internet.

Tipp 3:

Marken, die von Stockflecken befallen sind, müssen zwingend gewaschen werden; ein Erhalt einer evtl. vorhandenen Gummierung ist nach allem was ich weiss nicht möglich; wer euch das verspricht, wird eure Marke dennoch erst waschen und nach dem Waschen neu gummieren, sprich: Fälschung

Tipp 4:

Lindner Original  bietet ein aus zwei Komponenten bestehendes Set zur Stockfleckentfernung an; ich kann hierzu keine Beurteilung abgeben, da die Firma Lindner mir noch kein Test-Set zur Verfügung gestellt hat

Tipp 5:

So mache ich es … ok, was jetzt folgt bezieht sich ausschliesslich auf die Marken der 1. und 2. Offenburger Ausgabe. Für andere Marken bitte vorgängig prüfen, ob eine Wasserlöslichkeit der Druckfarben o.ä. vorliegt. Für Marken der 1. Offenburger Ausgabe habe ich das Verfahren bereits häufig getestet. Bei sorgfältiger Anwendung kommen eure Marken nicht zu schaden. Es kann jedoch nicht schaden, das Verfahren – insbesondere die Applizierung der alkalischen Lösung – vorgängig an Dubletten oder an Ausschuss zu testen

Hinweis: Die Anleitung eignet sich auch für die normale Ablösung von Falzen oder Anhaftungen an Briefmarken.

    • Schritt 1: Die mit Stockflecken befallene Briefmarke wird gewaschen. Was benötigen wir zum Waschen von Briefmarken? Ihr werdet jetzt total überrascht sein: Wasser! Viel sauberes, handwarmes Wasser. Ein sauberes Behältnis, beispielsweise eine Salatschüssel. Ein trockenes, fettfreies und glattes Stofftuch.  Ausserdem Natronpulver (beispielweise Kaiser Natron) und Spülmittel. Füllt klares, handwarmes Wasser in das Behältnis und fügt pro 100 Millilitern Wasser ca. 1 Messerspitze voll Natronpulver  zur Neutralisation hinzu. Nun solltet ihr noch die Oberflächenspannung des Wassers brechen. Gebt hierzu ganz, ganz wenig, möglichst farbloses Spülmittel auf eine Fingerspitze und verteilt das Spülmittel im Wasser. Wichtig: Das Spülmittel sollte  k e i n e  Essig- oder Estherbestandteile aufweisen. Die befallene Briefmarke wird nun für mindestens 30 Minuten eingeweicht. Die Marken der 1. und 2. Offenburger Ausgabe vertragen Wasser ohne dass die Farbqualität leidet. Auch für damals applizierte Stempelabschläge gilt: Nur falsche Stempel scheuen den Kontakt mir Wasser. Nach 45 Minuten nehmt die Marke vorsichtig mit einer Pinzette aus dem Wasser und haltet diese unter fliessendes Wasser. Im Normalfalls sind nun keine Gummierungs- oder Falzreste mehr vorhanden. Nach meiner Erfahrung können Falzreste jedoch manchmal recht hartnäckig sein. Seien Sie in einem solchen Fall geduldig und legen Sie die Marke einfach für weitere 45 Minuten zurück in die Wasserschüssel.
    • Schritt 2: Die mit Stockflecken befallene Briefmarke wird gereinigt. Für diesen Schritt benötigen wir einen handelsüblichen Ultraschallreiniger – fragt eure Frau, diese verwendet das Ultraschallgerät zur Reinigung ihres Schmucks. Als Frau wisst ihr ohnehin, wovon ich schreibe. Die Zusammensetzung der Flüssigkeit ist dieselbe wie bei Schritt 1, seien Sie grosszügig. Lassen Sie die Marke ca. 5-10 Minuten durch Ultraschall reinigen. Wundern Sie sich nicht, falls Ihre Marke – insbesondere falls es eine Marke zu 12-, 45-, oder 75 Pfennig sein sollte – während der Behandlung leicht durchscheinend wird. Das ist normal.
    • Schritt 3: Die Reste der von Stockflecken hervogerufenen Verfärbung werden entfernt. Jetzt wird es spannend. Wir benötigen handelsübliches Javelwasser (2.5%), welches wir im Tante Emma-Laden bei den Waschmitteln finden. Ich fülle meinen geringen Bedarf aus der grossen (2 Liter) Flasche mittels eines kleinen Plastiktrichters in ein kleines Glasfläschchen mit Pipette (erhalten wir in der Apotheke). Ich nehme die noch nasse Marke und tröpfle aus der Pipette Javelwasser auf die Verfärbung(en). Dies tötet sämtliche evtl. vorhandenen Bakterien oder Sporen ab. Hinzu kommt ein – leichter, kaum wahrnehmbarer – Bleicheffekt. Circa 1-2 Minuten einziehen lassen, dann unter fliessendem Wasser abspülen. Mit der Lupe prüfen und den Vorgang falls nötig wiederholen. Ihr werdet mit der Zeit Routine entwickeln. Bitte achtet bei der Verwendung von Javelwasser auf gute Durchlüftung des Raums.
    • Schritt 4: Die Marke nochmals mindestens 10 Minuten in klarem Wasser liegen lassen und zwischendurch bewegen. N i c h t  dasselbe Wasser wie für Schritt 1 oder Schritt 2 verwenden. Danach vorsichtig – das Markenpapier ist durchfeuchtet und daher leicht verletzlich – mit der Pinzette aus dem Wasser nehmen und auf ein sauberes, glattes und fettfreies Tuch legen.  Mit einem Kleenex leicht von beiden Seiten abtupfen und warten, bis sich die Markenränder leicht aufstellen. Nun könnt ihr die Marke in ein Trockenbuch legen und für 24-48 Stunden pressen. Nicht vergessen: die Briefmarke vor dem Einsortieren noch gut durchlüften lassen!

__________

Jetzt denkt ihr sicherlich: „Der Typ spinnt“. So ein Aufwand, nur um Marken zu waschen oder Stockflecken zu entfernen? Vielleicht habt ihr mit dieser Einschätzung  Recht. Gespannt erwarte ich alternativen Vorschläge. Zuvor ein Beispiel nach meiner Methode:

Eine Marke, die an fünf Stellen (vgl. Ringe) von Stockflecken befallen ist. Die Stelle am rechten Markenrand weist bereits einen schwarzen Punkt im Zentrum auf.

Dieselbe Marke nach der unter Schritt 1-4 beschriebenen Behandlung.

Viel Spass beim Ausprobieren – auf eigene Gefahr.

__________

Mein Chemielabor

Mein Chemielabor besteht nur aus wenigen Ingredienzien. Dennoch reicht es aus, die im Alltag eines Philatelisten anfallenden Aufgaben ohne Schwierigkeiten zu meistern. Die allermeisten Mittel erhaltet ihr in der örtlichen Apotheke, im Tante Emma-Laden oder im Supermarkt.

Wasser

Kommt in Europa in der Regel aus dem Wasserhahn. Ganz wichtig. Verwendet handwarmes Wasser. Und seid nicht sparsam. Ihr braucht keinen Pool zu füllen, um eine Marke zu waschen, aber ein Petrischälchen ist definitiv zu klein. Denkt daran. Wascht ihr mehrere Marken zugleich, zwischendurch das Wasser wechseln. Ihr werdet euch wundern, wie schnell das Wasser dreckig wird. Prüft vor der Verwendung von Wasser, ob eure Marken Wasser vertragen. Die Marken der 1. und 2. Offenburger Ausgabe haben da kein Problem. Gönnt euren Marken das Bad. Wenn ihr ein Bad nehmt, hüpft ihr ja auch nicht nach fünf Minuten gleich wieder aus der Wanne! Oder?

Spülmittel

Erhaltet ihr im Tante Emma-Laden um die Ecke. Verwendet farbloses Spülmittel ohne Essig- oder Estheranteilen. Nur in minimen Dosen verwenden. Zweck des Spülmittels ist die Brechung der Oberflächenspannung des Wassers. Ein winziges Tröpfchen an eurem Finger im Wasser aufgelöst, ist völlig ausreichend. Ihr wollt doch kein fettiges Geschirr waschen.

Chemisch reines Benzin

Nicht an der Tankstelle, aber in der  Apotheke erhältlich. Wichtig: Immer gekühlt und gut verschlossen (Bakelitverschluss) an einem kühlen Ort, am Besten im Kühlschrank aufbewahren. Verdunstet sonst sehr rasch. Bei der Verwendung immer auf ausreichende Raumbelüftung achten. Chemisch reines Benzin ist in Deutschland auch als Wundbenzin bekannt. Verwendet kein Feuerzeugbenzin und prüft zuvor (Katalog), ob eure Marken ein Benzinbad vertragen. Für Marken der 1. Offenburger Ausgabe der schnellste und günstigste Weg, das Wasserzeichen zu bestimmen. Bei ganz leichtem und nur auf der Gummiseite sichtbaren Befall von Stockflecken verhindert ein Benzinbad die weitere Ausbreitung. ACHTUNG: Gewisse Markensorten, auf sogenanntem Kreidepapier oder mit löslicher Farbe gedruckt, dürfen nicht in Benzin gelegt werden, da sie sich ansonsten verfärben. In der Regel in Katalogen entsprechend gekennzeichnet.

Natron (Natriumhydrogencarbonat)

Im Tante Emma-Laden entweder bei den Backzutaten oder neben Alka-Selzer zu finden. Als Pulver kaufen. Kostet nur kleines Geld und hält ewig. Ist stark basisch und wirkt säureabbauend.

Javelwasser

Im Tante Emma-Laden bei den Waschmitteln zu finden: Französisch: l’eau de Javel(le); Englisch: javelle water, sodium hypochloride. Javelwasser hat einen pH-Wert von >11,4 und ist damit alkalisch resp. basisch. Ein wirksames Mittel gegen Stockflecken und Schimmelbefall. Hat verdünnt eine geringe Bleichwirkung. Bei der Verwendung auf gute Raumdurchlüftung achten.

Briefmarkenablöser

Im Fachgeschäft, resp. Fachhandel erhältlich. Welchen Briefmarkenablöser ihr wählt, überlasse ich euch. Ich habe mit dem Briefmarkenablöser von Lindner Original gute Erfahrungen gemacht. Schenkt den vollmundigen Versprechungen, dass die Gummierung erhalten bliebe, bitte keinen Glauben. Das ist ein schlechter Werbewitz. Der Briefmarkenablöser hilft aber bei der Entfernung einiger sehr, sehr alter Falze (klappt nicht bei jedem Kleber: Uhu, Pattex und einige der sehr alten Knochenleime gehen definitiv nicht). Auch bei selbstklebenden Marken das Mittel meiner Wahl.

Alkohol 70%

In der Apotheke erhältlich. Gekühlt aufbewahren und bei Verwendung auf gute Raumdurchlüftung achten. Ich verwende Alkohol zur Reinigung der Pinzette und sonstigen Zubehörs. N i c h t  direkt mit Briefmarken verwenden, n i c h t  trinken. Normaler Alkohol – z.B. Bier, Wein, Champagner dagegen eignet sich nicht für Briefmarken, aber hervorragend zur Feier von besonderen Neuzugängen in der Sammlung.

Bis dann

__________

Folgt mir auf Facebook und ihr seid immer auf dem Laufenden.

#saarphila #saarphilatelie