Basiswissen Philatelie (XII) – Ein Beleg dokumentiert Geschichte

Hallo

1935 war für die Einwohner des Saarlands, dass damals noch Saargebiet hiess – in den Sprachen des Völkerbunds Territoire du bassin de la Sarre resp. Saar Basin – ein wichtiges, ein entscheidendes Jahr. Was zu Beginn des Jahres 1935 niemand wusste oder ahnte: Im Saargebiet wurde in diesem Jahr europäische Geschichte, wenn nicht Weltgeschichte geschrieben.

Blenden wir 15 Jahre zurück. Am 20. Januar 1920 trat der Versailler Vertrag in Kraft, mit welchem offiziell der Friedenszustand zwischen den Siegermächten der Entente und Deutschland nach dem – schon 1920 als solcher bezeichneten – Ersten Weltkrieg wiederhergestellt wurde.

Für mich ist es ein passendes Zusammentreffen, dass wir heute dem Inkrafttreten des Waffenstillstandes am Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren gedenken. Am 11. November 1918 um 11:00 Uhr Pariser Zeit hatte das Abermillionen von Menschenleben fressende, über vier Jahre andauernde, fürchterliche Gemetzel – alternierend als Schlachthaus, Knochenmühle, Blutpumpe etc. bezeichnet – zumindest an der Westfront ein Ende.

Mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages im Januar 1920 wurde die Region an der Saar erstmals räumlich zusammengefasst und als Saargebiet (1) für die kommenden 15 Jahre ein Mandatsgebiet des Völkerbundes. Nach Ablauf von 15 Jahren sollte mittels eines Volksentscheids bestimmt werden, ob das Saargebiet weiterhin ein Mandatsgebiet des Völkerbundes bleiben, ein Teil der Französischen Republik oder ein Teil des Deutschen Reiches werden sollte. Am 27. Januar 1920 löste die vom Völkerbund eingesetzte Regierungskommission die bisherige französische Militärverwaltung ab. Frankreich erhielt vom Völkerbund zur wirtschaftlichen Wiedergutmachung der von Deutschen in Frankreich hinterlassenen Zerstörungen ohne zeitliche Begrenzung das Eigentum an sämtlichen Steinkohlegruben im Saargebiet und das Recht auf alleinige Ausbeutung der Steinkohlevorkommen im Saarbecken.

    

Abb.: Flagge (links) und Wappen (rechts) des Saargebiets von 1920-1935

Schon gegen Ende des Jahres 1933 begann das Nazi-Regime in Deutschland eine intensive Propagandakampagne zur Vorbereitung der auf den 13. Januar 1935 festgesetzten Volksabstimmung. Ein dem Reichskanzler Adolf Hitler direkt unterstellter Saarbevollmächtigter (2) wurde ernannt, ein Saarpropaganda-Ausschuss (3) wurde konstituiert, die vielerorts im Dritten Reich bestehenden Saarvereine wurden gleichgeschaltet, die katholische Kirche und die gleichgeschaltete Presse eingespannt, die wenigen im Saargebiet bestehenden, noch unabhängigen Pressehäuser resp. deren kritische Redaktoren mundtot gemacht (4) und Schüler verteilten Bildpostkarten mit Ansichten aus dem Saarland (5). Die Nazis begannen, im Saargebiet auf den Reichsrundfunk voreingestellte Volksempfänger (Radiogeräte) zu verteilen, um die Saarländer zu erreichen. Die Regierungskommission hatte es dagegen all die Jahre versäumt, einen eigenen Rundfunk im Saargebiet aufzubauen. Der Bund der Saarvereine begann, sämtliche abstimmungsberechtigte Saarländer mit Wohnsitz im Reich resp. im Ausland zu erfassen (6). Über die Saarvereine resp. die Auslandsorganisation der NSDAP wurden diese Saarländer bearbeitet, für die „Heimkehr ins Reich“ zu stimmen.

Ein Beispiel für die intensive Werbung um die im Reich ansässigen Abstimmungsberechtigten. Die Frontseite des „Ramslauer Stadtblatts“ vom Weihnachtstag 1934 bringt gleich drei Artikel zur bevorstehenden Saarabstimmung. Ramslau liegt in Schlesien (heute Namyslów, Polen).

Die Deutsche Reichsbahn begann mir Planungen, sämtliche im Dritten Reich ansässigen, abstimmungsberechtigten (7) Saarländer für den Abstimmungssonntag mit Dutzenden Bussen und Sonderzügen ins oder zumindest örtlich nahe an das Saargebiet zu transportieren. Das Nazi-Regime resp. Nazi-Organisationen wie das Saar-Hilfswerk übernahm in sehr vielen Fällen die – für die von den Folgen der Weltwirtschaftskrise gebeutelten Menschen – nicht unerheblichen Reisekosten. Dieser gut geschmierten Propagandamaschine des Nazi-Regimes sowie dem erheblichen Einfluss der seit dem Reichskonkordat von 1933 staatstreuen katholischen Amtskirche (8) bei den mehrheitlich katholischen Saarländern hatten die Regierungskommission, die sehr ungeschickt agierenden Franzosen sowie die den Nationalsozialisten ablehnend gegenüberstehenden Kreise im Saargebiet nur wenig entgegenzusetzen.

Ungeschickt agierende Franzosen: Vignette zur Abstimmung auf Französisch schürte Ängste vor dem Verlust der eigenen Sprache und Kultur wie in Elsass-Lothringen

Am Abstimmungssonntag entschieden sich bei einer Wahlbeteiligung von fast unvorstellbaren 98% ganze 90% der abstimmungsberechtigten Saarländer für eine Eingliederung des Saargebiets ans Dritte Reich, der am 1. März 1935 vollzogen wurde. Das Nazi-Regime zahlte 900 Millionen Goldfranken – etwa eine ¾ Milliarde Reichsmark – an Frankreich, um die Eigentumsrechte an den saarländischen Steinkohlegruben zu erwerben.

Etwa 2 bis 3 Prozent der saarländischen Bevölkerung verliess nach diesem eindeutigen Abstimmungs-Ergebnis – zum Teil fluchtartig – das Land. Die meisten von Ihnen Warner vor dem menschenverachtenden Nationalsozialismus, wie der spätere Regierungschef des Saarlandes Johannes Hoffmann, sowie fast alle Menschen jüdischen Glaubens.

Die für das Saargebiet ausgegebenen, und auf französische Franc lautenden Briefmarken verloren am 28. Februar 1935 um Mitternacht ihre Gültigkeit. Ab dem 1. März 1935 besassen ausschliesslich die Briefmarken der Deutschen Reichspost Frankaturkraft.

Der nachfolgende Beleg ist daher so interessant, da er einerseits zwei Letztagsstempel von Mitternacht auf einer nicht portogerecht – es wären 30 Centimes zu verkleben gewesen – frankierten Postkarte mit einem Erstverwendungsstempel auf einer 3 (Reichs-) Pfennig-Sonderbriefmarke, der Deutschen Reichspost zum Anlass der Eingliederung des Saarlandes, vereint.

Dieser Beleg ist philatelistisch beeinflusst, was durch die Rückseite der Postkarte mit den Abbildungen sämtlicher, im Saargebiet im Vorfeld der Volksabstimmung ausgegebenen Saarbriefmarken betont wird. Obschon der Tenor der Postkarte klar Pro-Deutsch ist, lief der Beleg zu einem Empfänger in Frankreich, wo er am 2. März 1935 im Postamt Douai abgeschlagen wurde.

Philatelistisch inspirierte Postkarten wurden 1935 viele hergestellt. Hier ein simples Exemplar aus dem Hause Hermann. E. Sieger.

Schön zu sehen, wie auch auf dem nachfolgenden Beleg, der Sonderwerbestempel Saarbrücken vom Ersttag mit den ersten Noten des Saarlandlieds von Hanns Maria Lux.

Wie hätte sich die Geschichte entwickelt, wenn die Saarabstimmung von 1935 anders ausgegangen wäre? Wenn Adolf Hitler 1935 nicht einen aussenpolitischen Triumph hätte feiern können, der sein Prestige im In- und Ausland massiv steigerte? Hätte er im März 1935 die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht – auch für Saarländer – sowie die Existenz der heimlich aufgebauten Luftwaffe verkündet? Hätte er 1936 das entmilitarisierte Rheinland besetzt oder ab Juli offen den aufständischen, faschistischen General Francisco Franco im Spanischen Bürgerkrieg unterstützt? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass am 13. Januar 1935 in den Abstimmungslokalen des Saargebiets Geschichte geschrieben wurde.

Bis dann

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Anmerkungen

(1) Artikel 45-50 Versailler Vertrag

(2) Durch Kabinettsbeschluss seit Mitte November 1933 der ehemalige Reichskanzler Franz von Papen, der als Katholik den katholischen Klerus für die Sache der Nazis einspannte, ab 28. Juli 1934 dann der stramme Nazi und Gauleiter des Saarlandes Josef Bürckel. Dem Saarbevollmächtigten unterstanden – Führerprinzip – die Saarreferenten Preussens, Bayerns und des Reichs, das Saar-Hilfswerk sowie der Saarpropaganda-Ausschuss

(3) Der Saarpropaganda-Ausschuss konstituierte sich im Dezember 1933.

(4) Die meist kleinen Pressehäuser an der Saar wurden bereits seit Jahren mittels Krediten und Papierlieferungen vom Deutschen Reich alimentiert

(5) Zu der Bildpostkartenserie des Saar-Hilfswerks erscheint demnächst ein separater Beitrag im SAARPHILA-BLOG

(6) In der deutschen Presse wurden Aufrufe geschaltet, dass sich potentielle Abstimmungsberechtigte zwecks Registrierung bei der örtlichen Polizeidienststelle melden sollten. Im Rundfunk und in den Lichtspielhäusern sowie durch Anzeigen in überregionalen Zeitungen und kleinsten Lokalblättern wurden die im Reich lebenden Saarländer ermahnt, „ihre vaterländische Pflicht zu erfüllen“.

(7) Abstimmungsberechtigt waren nach Artikel 50 des Versailler Vertrags, Anlage §34, alle Saarländer, die am 28. Juni 1919 – dem Tag der Unterzeichnung des Vertrages – ihren Wohnsitz in einer Gemeinde des Saargebiets und am Abstimmungstag das 20. Lebensjahr vollendet hatten.

(8) Hirtenbrief der auf ausdrückliche Anordnung der Bischöfe von Trier und Mainz vor der Abstimmung in allen katholischen Kirchen des Saarlandes verlesen wurde: „Am Sonntag, dem 13. Januar 1935, wird im Saargebiet die Volksabstimmung stattfinden über die Frage, ob dieses deutsche Land und seine Bewohner in der durch den Versailler Gewaltfrieden aufgezwungenen Trennung vom Deutschen Reich verbleiben sollen. Als deutsche Katholiken sind wir verpflichtet, für die Grösse, die Wohlfahrt und den Frieden unseres Vaterlandes uns einzusetzen. Deshalb verordnen wir, dass am genannten Sonntag in allen Kirchen nach dem allgemeinen Gebet drei Vaterunser und Ave Maria gebetet werden, um einen für unser deutsches Volk segensreichen Ausgang der Saarabstimmung zu erflehen.“

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