1. Offenburger Ausgabe – Spätverwendungen

Hallo

Spätverwendungen? Dieser Begriff sagt euch nichts? Macht nichts. Wofür der Begriff Spätverwendungen stehen kann, dass möchte ich in diesem Beitrag erläutern.

Heutzutage sind die von den Postanstalten ausgegebenen Briefmarken in der Schweiz, in Frankreich und meines Wissens nach auch in Deutschland unbegrenzt gültig und verlieren in aller Regel ihre Frankaturkraft nicht. Das war jedoch nicht immer so.

Beispiel Schweiz: Seit 1960 sind sämtliche Dauer- und Sondermarken der Schweizerischen Post (seit 1964 auch die Briefmarken von Pro Patria und Pro Juventute) unbeschränkt gültig. Vor 1960 besassen Schweizer Briefmarken dagegen ein „Ablaufdatum“. Dies war jedoch nicht wie beim Joghurtbecher aufgedruckt, sondern wurde in Amtsblättern und durch Aushänge in den Poststellen publiziert. Auf diesen amtlichen Verlautbarungen stützen sich auch die Angaben zur Gültigkeit in Briefmarken-Katalogen.

Die Marken der 1. Offenburger Ausgabe verloren offiziell ihre Gültigkeit am 27. November 1947. Da jedoch bereits am 20. November 1947 im Saarland der zweite Teil der Währungsreform (1), die Umstellung von Saar-Mark auf Frankenwährung vorgenommen worden war, mussten die ja ursprünglich auf Reichsmark und -pfennig lautenden und seit dem 16. Juni 1947 in (Saar-) Mark denominierten Briefmarken in ihrer letzten Gültigkeitswoche zum Umtauschkurs von 20 Franken für 1 Mark (1 Franken = 5 Pfennig) „umgerechnet“ werden.

Die offiziell genehmigte Verwendung der Postwertzeichen trotz ungültiger Währungsbezeichnung war allein dem Mangel an Postwertzeichen geschuldet, die auf die neue Währung lauteten. Die P.T.T. des Saarlandes hatte zwar viele verfügbaren Schalterbögen der 1. Offenburger Ausgabe sowie fast alle Schalterbögen der im Sommer bei der Druckerei Franz Burda nachbestellten 2. Offenburger Ausgabe zwecks Überdruck in Franken-Währung zur Malstatt-Burbacher Handelsdruckerei transportieren lassen. Doch war die Zeit nicht ausreichend gewesen und nur mit Mühe gelangten am 20. November 1947 zumindest die Werte zu 2, 3 und 6 Franken an die saarländischen Postschalter. Viel zu wenig, um sämtliche Frankaturen abzudecken.

Aber auch nach dem Ende der offiziellen Gültigkeit der Marken der 1. Offenburger Ausgabe am 27. November 1947 waren längst nicht alle 13 Werte des auf Franken lautenden Malstatt-Burbacher Drucks überall verfügbar. Hinzu kamen die Briefmarkenbestände von Firmen, die mangels verfügbarer Vorräte von der P.T.T. des Saarlands nicht umgetauscht werden konnten.

So wurden viele Sendungen nach dem 27. November 1947, der Not gehorchend, mit Marken der 1. Offenburger Ausgabe freigemacht. Es kam somit zu Spätverwendungen und zwar bis in den Februar 1948 hinein.

Bei dem hier gezeigten Beleg handelt es sich um Dienstpost der bis zum 17. Dezember 1947 – dem Datum der Souveränität des Saarlands – obersten Verwaltungsbehörde des Saarlands, dem Gouvernement Militaire de la Sarre (auch: Délégation Supérieure de la Sarre). Das Porto für einen Brief nach Frankreich betrug im Dezember 1947 6 Franken. Der Beleg ist somit korrekt frankiert. Wir erinnern uns: Der Tauschkurs betrug 20 zu 1. 20 Pfennig entsprachen somit 4 Francs. Die Marke zu 4 Franken der Saar II war zwar offiziell seit dem 27. November 1947 an den saarländischen Postschaltern verfügbar, aber Theorie und Praxis scheinen hier nicht übereinzustimmen.

Die Spätverwendung von Briefmarken ist beileibe keine Besonderheit des Nachkriegs-Saarlands, sondern kommt häufig in Zeiten der Not oder bei Währungsumstellungen vor. Ich beschränke mich bei den nachfolgenden Beispielen auf die nicht nur geografisch naheliegenden postalischen Gebiete Elsass-Lothringen und das Saargebiet.

    • Elsass-Lothringen wurde 57 Jahre nach seiner – von den meisten Einwohnern abgelehnten – Annexion durch das neu gegründete Deutsche Reich im Anschluss an die Unterzeichnung des Waffenstillstands am 11. November 1918 durch Frankreich besetzt (2). Die Besetzung durch französische Truppen war am 21. November 1918 abgeschlossen. Das Postwesen im ehemaligen Reichsland ging ab 1. Dezember 1918 in die französische Verwaltung über. Die Postwertzeichen der Deutschen Reichspost blieben offiziell bis zum 31. Dezember 1918 gültig (Umrechnung: 1 Reichspfennig = 1 Centime), ihre Verwendung wurde jedoch bis in den April 1919 geduldet. Auch deutsche Poststempel wurden noch für einige Zeit weiterverwendet.
    • Saargebiet: Der Völkerbund übernahm mittels einer Regierungskommission am 27. Februar 1920 die Verwaltung des Saargebiets. Die Postwertzeichen der Deutschen Reichspost sowie des Königreichs Bayern blieben offiziell bis zum 31. März 1920 gültig, wurden jedoch bis in den Juni 1920 hinein geduldet.

Spätverwendungen sind auch Ursache für interessante Mischfrankaturen zwischen verschiedenen Briefmarkenausgaben. Ein ganz eigenes und sehr anspruchsvolles Sammelgebiet. Eine einzelne gebrauchte Briefmarke einer Spätverwendung zuzuordnen ist fast unmöglich. In einem früheren Beitrag hatte ich die nachstehend abgebildete Briefmarke aufgrund der Abstempelung im Jahr 1948 als mögliche Fälschung vorgestellt.

Ebenfalls denkbar ist, dass es sich um eine Spätverwendung handelt. Nur: Ohne den zugehörigen Beleg ist diese Theorie nicht „belegbar“; die abgebildete Marke zwar prüfbar, der Stempel jedoch nicht.

Können entsprechende Belege überhaupt geprüft werden? Das ist eine sehr gute Frage. Ich verlasse mich in solchen Fällen auf meine Erfahrung. Sind Marke(n) und Stempel echt, ist das Porto korrekt, fällt bei dem Beleg auch sonst nichts auf … ist der Beleg „echt“.

Definition Spätverwendung von Briefmarken

Die Spätverwendung von Briefmarken ist die Frankierung von postalischen Sendungen mit Postwertzeichen, die offiziell bereits ausser Kurs gesetzt sind, deren Verwendung von der zuständigen Postanstalt jedoch stillschweigend geduldet wird. Ursachen sind in der Regel Notzeiten oder Währungsumstellungen bei denen die für den Postverkehr notwendigen Postwertzeichen nicht- wie von der Politik gewünscht – in ausreichender Anzahl an den Postämtern verfügbar sind sowie das Vorhandensein grösserer, beim Kauf für die Abgeltung der postalischen Beförderungsleistung gültiger, Markenbestände, insbesondere in der Wirtschaft. Durch stillschweigend tolerierte Spätverwendung können beispielsweise Rückgaben gegen Barauszahlung sowie Umtausch gegen Marken, die noch nicht vorrätig sind vermieden werden.

Bis dann

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(1) Die französische Verwaltung führte bereits im Juni 1947 – also ein Jahr vor der Einführung der DM in den Westzonen sowie der Deutschen Mark der Deutschen Notenbank in der Ostzone des zusammengebrochen und besetzten Deutschen Reichs – im Saarland eine Währungsreform durch. Bereits seit Juli 1945 hatte sie jeglichen Geld- und Kapitalverkehr mit den anderen Besatzungszonen sowie mit den übrigen Teilen der Zone d’Occupation Française en Allemagne verboten. Mittels Dekrets vom 4. Juni 1947 der französischen Regierung wurde die Reichsmark per 16. Juni 1947 ausser Kurs gesetzt und bei einem Umtauschkurs von 1:1 (Zwangsumtausch) durch die Saar-Mark (offiziell hiess die Währung nur Mark) ersetzt. Dies war nach der Kapitalkontrolle der zweite Schritt der saarländischen Währungsreform, mit welchem der Teil des im Saarland vorhandenen mobilen Kapitals kenntlich gemacht wurde, welcher später in Franken umgetauscht werden sollte. Den Umtausch von Reichsmark in (Saar-) Mark konnten nur im Saarland ansässige Einwohner und Firmen vornehmen. Gleichzeitig wurden die gemeldeten Beträge auf Rechtmässigkeit (versteuertes Kapital, Schwarzmarkthandel etc.) überprüft. Am 15. November 1947 beschloss das französische Parlament das Gesetz 47-2158: „Die französische Regierung ist ermächtigt, im Saarland den Französischen Franken als Währung einzuführen.“ Ein Ministerbeschluss vom 19. November 1947 bestimmte daraufhin den 20. November 1947 als Tag der Währungsumstellung.

(2) Elsass-Lothringen wurde nach der deutschen Annexion kein Gliedstaat des Bundes, sondern ein Reichsland und unterstand somit – wie Privateigentum – direkt dem jeweiligen deutschen Kaiser. Elsass-Lothringen wurde wie ein besetztes Land durch einen Reichstatthalter resp. später Kaiserlichen Statthalter im Auftrag und Namen des Kaisers verwaltet.

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